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Solothurn
Kanton Solothurn
Das Weibchen «Bell» hilft bei der Ansiedlung von Artgenossen in Deutschland. Sie fühlt sich in ihrer neuen Heimat pudelwohl.
Ende August, anfangs September wurde ein Luchskadaver ohne Kopf und Vorderläufe aus dem Saalachsee im Berchtesgadener Land (DE) geborgen. Vermutet wird ein gezieltes Töten des Tieres. Nach wie vor ist der Luchs in manchen Kreisen nicht wohlgelitten. Der tote Luchs sollte mithelfen, eine Luchspopulation in Bayern und Österreich aufzubauen. Er stammt aus Italien, wo er ausgewildert wurde.
Auch im Solothurner Jura werden Luchse umgesiedelt. Im Frühling 2017 hat das Luchsweibchen Bell einen neuen Lebensraum erhalten. Der Erstnachweis im Kanton Solothurn erfolgte am 8. Mai 2015 am Vorberggrat in der Gemeinde Oberdorf auf einem Wechsel. Im gleichen Jahr kam Bell in die Schlagzeilen, als sie in einem Wurf vier Junge bekam, was sehr selten ist. Adolf Hess aus Rüttenen, Luchsverantwortlicher des Hegeringes Leberberg, gelang es mit einer Fotofalle, den Wurf abzulichten, als sie sich gerade mit ihrer Mutter an einem Rehriss gütlich taten. Diese Bell wurde eingefangen und im April 2017 im deutschen Pfälzerwald wieder freigelassen.
Was ist geschehen in den 43 Jahren seit Beginn der Wiederansiedlung des Luchses im Jura? Am 8. Juli 1974 wurde offiziell der erste Luchs im Felsenkessel Creux du Van (NE) aus einer Transportkiste in die Freiheit entlassen. Und nun werden Luchse eingefangen und exportiert? In der Studie «Der Luchs im Jura, unter besonderer Berücksichtigung des Solothurner Juras» der drei Autorinnen und Autoren Manuela von Arx, Christine Breitenmoser-Würsten und Fridolin Zimmermann kommt auch Mark Struch vom kantonalen Amt für Wald, Jagd und Fischerei zu Wort.
Er schreibt in einem Beitrag zum Luchs-Management im Kanton Solothurn, dass ab 2003 der Luchsbestand stark steigt. Festgestellt haben dies die Jäger, weil der Rehbestand abnahm und damit auch die Anzahl der von ihnen geschossenen Tiere. Ein Luchs erbeutet im Schnitt gegen 60 Paarhufer pro Jahr. 80 Prozent davon sind Rehe und 20 Prozent sind Gämsen. Eine andere Zählung zeigt, dass der Anteil der Luchsrisse (1988-1998) bei Rehen 30 Prozent betrug und bei Gämsen 49 Prozent. Die restlichen getöteten Tiere wurden von Jägern erlegt oder sind Fallwild. Das sind nicht unerhebliche Zahlen.
Der Unmut in der Jägerschaft wuchs, worauf die Behörde mittels Antrag an den Bund eine «Regulation» von Luchsen einem illegalen und unkontrollierbaren Eingriff in die Luchsbestände entgegenwirken wollte. Dank diesen Anstrengungen ist im Kanton Solothurn kein Fall von Luchswilderei, wie anfangs beschrieben in Bayern, registriert worden.
Dazu wurden zwei Instrumente eingeführt. Einerseits das Luchs-Monitoring mittels Fotofallen. Dabei werden die Jagdreviere, abhängig vom nachgewiesenen Luchsvorkommen, finanziell entschädigt. Die Grossraubtierverantwortlichen betreuen dabei die Foto-Fallen und Kora (Koordinierten Forschungsprojekte zur Erhaltung und zum Management der Raubtiere in der Schweiz) bestimmt die Identität, worauf der Kanton Geld in den Luchspool ausschüttet, aus dem die Jagdreviere entschädigt werden.
Das zweite Instrument ist die befristete Entnahme von Luchsen aus einer Population, um eine Regulation des Luchsbestands in einem Grossraubtierkompartiment herbei zu führen. Ein Grossraubtierkompartiment, wie beispielsweise der Jura, umfasst dabei mehrere Kantone. Die sich in Revision befindende Jagdverordnung des Bundes soll dies erlauben. Nötig ist aber ein Nachweis, dass zu viele Luchse auf engem Raum leben und dadurch die Population der Beutetiere massiv zurückgeht.
Bell wurde aber nicht ausgesiedelt, weil es etwa zu viele Luchse geben würde. Mark Struch hält fest, dass die internationalen Umsiedlungsprojekte keinen Zusammenhang mit den steigenden Luchsbeständen der letzten Jahrzehnte haben. Aber: «Die Schweizer Luchsbestände erlauben es, einzelne Individuen für solche Umsiedlungsprojekte zu entnehmen.» Die aktuellen Umsiedlungsprojekte der Luchse ins Ausland (Pfälzerwald oder Kalkalpen, Österreich) basieren auf einer Bestellung von Luchsen für die ausländischen Wiederansiedlungsprojekte. Die Lieferung von Luchsen erfolgt durch den Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen.
Nach ihrem Fang im Jura wurde Bell in die neu eingerichtete Quarantäne-Station des Natur- und Tierparks Goldau gebracht, wo sie einem ausführlichen Gesundheitscheck durch das Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin der Universität Bern unterzogen wurde. Daraufhin konnte das Luchsweibchen ihre Reise nach Rheinland-Pfalz antreten.
Wie auch die anderen Neuankömmlinge im Pfälzerwald – Bell ist der fünfte angesiedelte Luchs – trägt Bell ein Sendehalsband. Dadurch können die Bewegungen des Luchses begleitet, wichtige Daten zur Lebensweise erfasst und auch Beutetiere wie Rehe ermittelt werden. So hat Bell, laut Sylvia Idelberger, Projektleiterin, zu Beginn eine Erkundungstour durch den Pfälzerwald in Richtung Nordosten unternommen und hier auch einen Abstecher in die Rheinebene bei Alzey gemacht. Trotz erfolgreicher Jagd in der freien Feldflur kehrte sie bald wieder um, wanderte in den Donnersberg, von dort wieder in den nördlichen Pfälzerwald zurück und hält sich nun vorwiegend im Bereich des Donnersbergs auf. Bell nutzte auf ihrer ersten Erkundungstour mehrfach Brücken oder Unterführungen zur Überquerung von Strassen, so auch die für Wildtiere extra eingerichtete Grünbrücke über die A6 bei Wattenheim. Ihre Erkundungstour dauerte ungefähr zwei Wochen. Dabei ist sie etwa 100 Kilometer gelaufen. «Sie ist die Luchsin, die sich am nördlichsten orientiert hat», erzählt Idelberger. Etwas weiter südlich von ihr hat sich der Luchskuder Cyril aus der Slowakei niedergelassen und eventuell eine weitere Luchsin, deren Sendehalsband aber vorzeitig seinen Dienst aufgegeben hat.
Bell ist nicht der einzige Luchs, der im Jura eingefangen und anderswo wieder freigelassen wird. Laut Kora sind auch in diesem Winter weitere Fänge («theoretisch») vorgesehen. Aber wo genau (welche Kantone), wann und wie viele Tiere umgesiedelt werden, das sei alles noch nicht bestimmt. (uby)