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Ein umstrittenes Thema: Seit einem Jahr dürfen Sozialversicherungen Detektive einsetzen. Auch diejenigen im Kanton Solothurn. Passiert ist das bisher aber nicht. Trotzdem ist das Thema nach wie vor heikel, wie eine Umfrage bei Versicherungen zeigt.
Vor zwei Jahren stimmte die Schweizer Stimmbevölkerung über ein heisses Eisen ab: die Änderung des Sozialversicherungsrechts. Die damals angenommene Revision beinhaltete auch die gesetzliche Grundlage für den Einsatz von Sozialdetektiven: Sozialversicherungen dürfen Versicherte überprüfen lassen – wenn sie vermuten, dass der oder die Versicherte Leistungen bezieht, die ihnen nicht zustünden. Ungerechtfertigte Überwachungen; unverhältnismässige Eingriffe in die Privatsphäre mutmasslicher Versicherungsbetrüger wurden damals befürchtet.
Die Änderung gilt seit einem Jahr. Anfragen oder Beschwerden wegen Überwachungen gab es in dieser Zeit bei der kantonalen Datenschutzbeauftragten nicht. Mehr noch: Es kam seit dem 1. Oktober 2019 zu gar keiner Observation im Kanton. Ein heisses Eisen scheint das Thema aber nach wie vor zu sein.
Nicht alle Sozialversicherungen sind vom Thema gleich betroffen. So setzen bekanntlich vorwiegend die Unfallversicherung (Suva) und die Invalidenversicherung (IV) auf Observationen. Es gibt aber noch andere Versicherungen im Kanton, die seit einem Jahr theoretisch Sozialdetektive anheuern könnten, um Versicherungsmissbrauch aufzudecken. Etwa die öffentliche Arbeitslosenkasse, die dem kantonalen Amt für Wirtschaft und Arbeit angegliedert ist.
Laut Amtsleiter Jonas Motschi hat man bisher aber keine Detektive eingesetzt. «Da eine Observation einen Eingriff in die Grundrechte der versicherten Person darstellt, sollte diese Vorgehensweise nur als letzte Option genutzt werden, also wenn alle anderen möglichen Massnahmen ausgeschöpft sind oder mit Sicherheit nicht zum Erfolg führen würden.»
Sozialdetektive brauchen vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) eine Bewilligung, um Observationen durchführen zu dürfen. Eine Statistik zu Solothurner Detektiven gibt es nicht. «Diese Information ist für uns kaum relevant», heisst es beim BSV. «Gerade weil der Kanton Solothurn stark verzweigt ist, ist davon auszugehen, dass auch Bewilligungsinhaberinnen und -inhaber aus anderen Kantonen im Kanton Solothurn Observationen durchführen könnten.» Seit dem 1. Oktober 2019 hat das BSV 86 Gesuche um Bewilligung zur Durchführung von Observationen bearbeitet. In 69 Fällen sei die Gesuchsbearbeitung abgeschlossen. 59 Bewilligungen wurden erteilt.
Gemäss BSV liess die SUVA zudem von 2010 bis im Herbst 2016 – als bekannt wurde, dass eine gesetzliche Grundlage für die Überwachungen fehlt – schweizweit 111 Personen observieren. Bei der IV waren es schweizweit 1050 Observationen. Der Verdacht erhärtete sich in rund der Hälfte der Fälle.
Auf andere Mittel setzt auch die kantonale Ausgleichskasse (AKSO). Bei ihr sind etwa die Ergänzungsleistungen angegliedert. Ergänzungsleistungen erhalten Personen, deren Rente oder Einkommen nicht zum Leben reicht. Versicherungsmissbrauch ist auch bei der AKSO ein Thema: Eine Erbschaft wird nicht angegeben, die Meldung einer Lohnerhöhung geht vergessen – Leistungen werden weiterhin im gleichen Ausmass bezogen, obwohl kein Anrecht darauf bestünde.
Um Missbrauch aufzudecken, werden aber keine Detektive eingesetzt, wie der stellvertretende Geschäftsleiter Matthias Misteli erklärt. Die AKSO überprüft Leistungen, die sie auszahlt, ohnehin regelmässig. Und erkennt Missbräuche beispielsweise anhand von Vermögenswerten in den Steuerdaten, die nicht mit den Angaben Versicherter übereinstimmen. Werden Leistungen bezogen, obwohl kein Anrecht darauf bestünde, wird Anzeige erstattet.
Seit dem 1. Oktober 2019 gingen bei der Solothurner Staatsanwaltschaft 69 Anzeigen wegen Sozialversicherungsmissbrauch ein. Ohne dass Detektive eingesetzt worden wären. Auch nicht von den beiden Versicherungen, die im Kanton als einzige mit Detektiven arbeiten. So wurden seit letztem Herbst auch bei der IV keine Observationen veranlasst, informiert Mediensprecherin Pia Wälti. Zuvor waren es nur Einzelfälle – 2016 etwa 6. «Eine solche Massnahme wird als letztes Mittel gewählt und nur, wenn die üblichen Abklärungsmassnahmen nicht oder nicht mehr zielführend sind.» Dazu gehört etwa die Einsicht von Akten bei der Ärzteschaft oder Arbeitgebern.
Dass das Thema, obschon es keine Observationen gab, nach wie vor heikel ist, zeigt sich hier: Bei der Suva heisst es zuerst, man kommuniziere keine Zahlen zu Observationen; später, es gebe keine kantonale Statistik dazu. Erst später rückt die Versicherung damit raus, dass seit dem 1. Oktober 2019 keine Observationen im Kanton stattgefunden haben. Bis im Herbst 2016, so heisst es weiter, habe es jährlich schweizweit rund 15 Observationen gegeben. Mit einem einzigen aufgedeckten Fall von Versicherungsmissbrauch könne man bis zu einer halben Million Franken sparen.
Wobei die Suva betont: «Observationen setzen wir sehr zurückhaltend und als letztes Mittel in kostenintensiven Einzelfällen ein, bei denen eine Rente geschuldet oder absehbar ist.» Weil das Thema Versicherungsmissbrauch vermehrt diskutiert worden sei in den letzten Jahren, würden mittlerweile auch mehr Missbrauchsfälle gemeldet. Gab es 2009 laut Suva-Statistik noch 286 Verdachtsfälle, waren es zehn Jahre später 1809.