Der Oltner Jazztrompeter Umberto Arlati wird heute mit dem Solothurner Kunstpreis ausgezeichnet. Der 79-Jährige ist einer der wenigen und letzten Vertreter einer verschwindenden Gruppe und Generation von Jazzmusikern.
Das Timing hätte besser nicht sein können: Am 22. Juni 2011 wird der Oltner Jazztrompeter Umberto Arlati seinen 80. Geburtstag feiern. Der Solothurner Kunstpreis 2010 kommt zwar spät – Arlati hätte ihn schon mit 60 oder 65 Jahren verdient gehabt –, dafür gerade auch als eine Art vorgezogenes Geburtstagsgeschenk. Wie so oft stecken hinter diesen nackten Zahlen kulturgeschichtliche Erklärungen. Vor 20 Jahren hätte ein Jazzmusiker hierzulande sowieso keinen Kunstpreis erhalten. Unterdessen ist der Jazz salonfähig geworden und wird an Musikhochschulen gelehrt und erlernt. Und vor 20 Jahren hat man über Jazzmusiker, wenn sie denn (aufgrund ihres oftmals ungesunden Lebenswandels) überhaupt 80 Jahre alt wurden, allenfalls nette Nachrufe verfasst. Bei «Umbi», wie Arlati in Musikerkreisen liebevoll genannt wird, ist alles etwas anders.
Der 79-Jährige ist einer der wenigen und letzten Vertreter einer verschwindenden Gruppe und Generation von Jazzmusikern. Seine aussergewöhnliche Musikervita ist in ihrer Art typisch für das 20. Jahrhundert. In dieser Form wird es sie im 21. Jahrhundert wohl kaum mehr geben. Oder kennen Sie einen Jazzmusiker der Gegenwart, der tagsüber auf dem Bau und im Büro arbeitet, abends mit dem Zug nach Zürich an eine unbezahlte Session fährt, am nächsten Morgen mit dem ersten Zug zurückkommt, direkt wieder zur Arbeit geht und zu Hause noch eine Frau und bescheidene fünf Kinder hat? Sicher nicht. Die Leidenschaft Arlatis – auch im wörtlichsten Sinne – drückt deutlich durch. Umbi hat nie halbe Sachen gemacht und wer A sagt, muss auch B sagen (können). So tickt Umbi.
Vom Jazzvirus früh infiziert
Arlati gehört zur unterdessen auch im Jazz aussterbenden Generation der Selfmademen. 1931 als Sohn eines Baupoliers mit Handelsdiplom geboren, kam Umbi schon früh mit Musik in Kontakt – sein Vater leitete als Geiger ein «Unterhaltungsorchesterli». Mit neun Jahren machte Arlati erste Gehversuche auf dem AltoSaxofon, wechselte jedoch mit 14 zur Trompete und genoss Unterricht am Basler Konservatorium. Nur zu gerne hätte er am Konservatorium studiert, «Vater meinte jedoch, ich müsse zuerst einen Beruf lernen», erzählt Umbi. Musiker war damals kein Beruf! So machte Arlati eine Lehre als Maurer und später als Plattenleger – weil er gerne im Freien arbeitete (und bis heute gerne wandert) und diese Lehre nur drei Jahre dauerte. Ziel blieb für ihn die Musik. Im Umfeld der Oltner Integrationsfiguren Gus Meier und Paul Thommen kam Umbi schon bald mit Jazz in Kontakt, hörte «V-Discs» aus den USA und lernte Transkribieren und Nachspielen. Der damals den Jazz revolutionierende Bebop sei ihm riesig eingefahren, berichtet Umbi und pfeift raketenartig durch die Zähne. Das Jazzvirus hatte ihn definitiv infiziert. Und dennoch sei er sich im Grunde genommen schon mit 14 bewusst gewesen, dass der Jazz nie grossen Anklang finden würde. «Wichtig ist, dass man hinter dem steht, was man macht», erklärt Umbi.
Diesem Credo ist er bis heute treu geblieben. Man müsse für alles offen sein, dürfe dabei aber die «Roots» nicht vergessen. So verfolgt Umbi bis heute das aktuelle Jazzgeschehen, auch wenn er im Herzen ein Hardbopper geblieben ist. Er merke sofort, ob ein Musiker über den gebotenen Horizont verfüge. Die jungen Jazzmusiker hätten heute zwar einen Hochschulabschluss und seien technisch sehr versiert – und trotzdem fehle es ihnen an «Soul» und «Personality». Diese elementaren Bestandteile einer Musikerpersönlichkeit können (glücklicherweise?) nicht
an einer Hochschule gelehrt und gelernt werden.
Mit der Zeit mehr Zeit für Musik
Die Zeit von 1950 bis 1970 war für Arlati eine beboppige, also eine hektisch intensive, schnelllebige. Heirat mit 20, fünf Kinder, einen bürgerlichen Fulltime-Job in einem Lohnbüro in Aarau und «daneben» allabendlich Jazzmusiker der ersten Liga in Zürich, später in Deutschland, Frankreich, Marokko (vor allem in Clubs auf US-Militärbasen). Am ersten Amateur (sic!) Jazz Festival in Zürich, 1951, gewann Umbi den ersten Preis in der Kategorie «Trompete modern». Ab 1967 unterrichtete Arlati an der von Heinz Bigler neu gegründeten Swiss Jazz School Bern und war 1972 Gründungsmitglied der Berufsabteilung. Je länger, je mehr konnte sich Umbi ganz der Musik widmen. Er begann auch, an der Städtischen Musikschule in Olten zu unterrichten, spielte in zahlreichen Formationen und engagierte sich für die Oltner Jazzszene, unter anderem im Vorstand des Vereins Jazz in Olten.
Vor allem darf man etwas nicht vergessen: Ein Blasinstrument wie die Trompete zu spielen, bedeutet tägliche Knochenarbeit. Bis heute mache er halt sein Ding, auch am Sonntag, erzählt Umbi. Diese Warmup-Übungen (lange Töne aushalten, Fingerübungen etc.) seien «duties», die man bezahlen müsse, so Arlati.
Sehr dankbar für den Preis
Täglich das Horn zu blasen, bleibt für ihn eine conditio sine qua non. Ausbezahlt hat sich diese Ausdauer, ja, dieser Leistungssport schon längst. Dass Umbi nun den mit
20000 Franken dotierten Solothurner Kunstpreis erhält (siehe Kasten), ist eine späte offizielle Anerkennung von Umberto Arlatis unermüdlichem Schaffen und zugleich eine gerechtfertigte, weise Entscheidung des Kuratoriums für Kulturförderung.
Umbi, bescheiden wie immer und manchmal knapp in Worten (auf der Trompete hingegen sprudelt er als alter Bebopper geradezu), meint schliesslich angesprochen auf den Preis: «Alles bestens. Ich darf nicht klagen und danke Gott, dass alles immer noch geht (Gesundheit, Trompete). Der Preis hat mich überrascht, aufgestellt, und ich bin wirklich sehr dankbar!»