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An Ostern endet die Amtszeit von Vitus Huonder. Der umstrittene Bischof sagt, wie sein Nachfolger das Bistum führen soll, was er von den Landeskirchen hält und weshalb es eine Verschwörung gegen ihn gegeben habe.
Er hat sich den Ruf eines Provokateurs erworben, gilt als Kirchenmann, der Unruhe unter seinen Schäfchen stiftet. Bischof Vitus Huonder trägt eine schwarze Soutane mit Pellegrina, als er unsere Zeitung im bischöflichen Schloss in Chur empfängt. Er redet leise, aber bestimmt, formuliert druckreife Sätze. An Ostern, seinem 77. Geburtstag, endet die Amtszeit als Bischof von Chur. Wen er sich als Nachfolger wünscht, verrät er nicht. Und doch wird klar, was er sich wünscht: Dass seine Linie fortgeführt wird, auch wenn das viele Gläubige ablehnen.
Vitus Huonder: Ich habe versucht, mein Amt entlang der neun Versprechen zu führen, die ein Bischof bei seiner Weihe ablegt. Ich habe ein gutes Gewissen.
Alle sind wichtig. Oft geht vergessen, dass der Bischof auch verspricht, sich an Tradition und Lehre der katholischen Kirche zu halten.
Ich habe immer Güterabwägungen gemacht, um konkrete pastorale Lösungen zu suchen. Solche Lösungen müssen aber auf dem Glauben der katholischen Kirche fussen, das ist die Herausforderung.
Kein Schweizer Bischoff ist so umstritten wie Vitus Huonder. In öffentlichen Stellungnahmen hat er aber immer wieder viele Menschen brüskiert, indem er den Primat der katholischen Lehre betonte.
2012 stellte er klar, dass geschiedene Wiederverheiratete nicht zu den Sakramenten zugelassen sind. Im letzten Jahr schrieb Huonder wieder in einem Hirtenbrief, die Verhütung gehöre zur «Kultur des Todes.
Die wohl schärfste Kontroverse löste Huonder aus, als er 2015 an einem Vortrag in der deutschen Stadt Fulda folgende Stelle aus dem Alten Testament zitierte: «Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Gräueltat begangen; beide werden mit dem Tod bestraft; ihr Blut soll auf sie kommen.» Der Homosexuellenverband Pink Cross reichte darauf eine Anzeige ein wegen öffentlichen Aufrufs zu Gewalttätigkeit, blitze aber ab.
Huonder studierte Philosophie und Theologie in Maria Einsiedeln, am Päpstlichen Athenaeum Sant’Anselmo in Rom sowie an der Universität Freiburg. Am 25.September 1971 empfing Vitus Huonder die Priesterweihe. 2007 wurde Huonder zum Bischof von Chur gewählt. Nun tritt er zurück.
Sobald ein Nachfolger für seinen Posten bestimmt ist, wird Huonder in den Wohntrakt für Priester des Knabeninstituts Sancta Maria in Wangs (SG) einziehen, wo die ultrakonservative Piusbruderschaft eine staatlich anerkannte Privatschule führt. (Kä)
Unser Glaube ist ein Glaube der Entscheidungen. Jesus sagt nicht, lebe wie du willst. Er fordert eine Entscheidung für Gottes Weg. So müssen auch die Worte und Taten eines Bischofs dazu ermutigen, die richtige Entscheidung zu treffen.
Wenn die Gläubigen eine Glaubenswahrheit nicht annehmen wollen und deshalb austreten, schmerzt mich das. Ich bin in solchen Momenten machtlos. Ich kann nur meine Pflicht erfüllen und den Weg des Glaubens aufzeigen.
Die Lehre darf sich nie verwässern. Das hat Priorität.
Es ist eine Kirche der Entscheidung.
Es geht um Religionsfreiheit. Wir wollen nicht, dass Kirchensteuergeld gegen die Lehre der Kirche eingesetzt wird. Es ist nicht Aufgabe der Landeskirche, gegen die Lehre der Kirche zu handeln. Die Landeskirche hat eine andere Funktion.
Beides. Sie hätte die Funktion, den Bischof in seiner Amtsführung zu unterstützen und nicht eine Oppositionsrolle einzunehmen. Ob man das Zölibat abschaffen will oder nicht, ist eine Frage der Weltkirche und des Lehramts, nicht der Landeskirche. So, wie die Landeskirchen faktisch funktionieren, überschreiten sie nicht selten ihre Kompetenzen.
Die Landeskirchen stellen sich nicht systematisch gegen die Kirche, meist haben wir ein gutes Einvernehmen. Aber der Konflikt ist systemisch, weil die Kirche für den ganzen Glauben steht und die Landeskirchen das daran kritisieren, was dem gesellschaftlichen Mainstream widerspricht. Denn sie wollen ihre finanziellen Privilegien retten.
Die Zukunft hängt davon ab, wie stark sich die Katholiken mit der Landeskirche identifizieren. Wir leben in einer Demokratie. Sie kann bestehende Strukturen ins Wanken bringen, wenn viele Gläubige nicht mehr damit einverstanden sind. Ob das duale System eine Zukunft hat oder nicht, ist schwierig abzuschätzen.
Das ist eine Möglichkeit. Wir haben im Bistum Gläubige, die der römisch-katholischen Kirche treu bleiben, aber die Landeskirche nicht mehr unterstützen.
Der Bischof muss frei sein in seinen Entscheiden und in seinem Amt. Wenn seine Freiheit beschnitten wird, kann er nur hoffen, dass es anders wird.
Es ist wichtig, dass Rom über den Sachverhalt im Bild ist. Der Papst hat mich viermal persönlich empfangen. Gewisse Entwicklungen in unserem Land, die er vorher nicht kannte, bereiten ihm Sorgen. Er hält sie für bedenklich.
Nein. Das Bistum Chur hat immer Klartext gesprochen wie im Fall von Adebar. Deshalb entsteht in der öffentlichen Wahrnehmung das Bild, der Konflikt entzünde sich vor allem in Chur. Dabei existiert das Problem landesweit.
Das müssen Sie die Bischöfe in den anderen Bistümern fragen.
Sie können nicht etwas Einigendes in den Vordergrund rücken, wenn es gegen die Lehre der Kirche steht. Was ich sage, muss immer dieser Lehre entsprechen, die sich an der Heiligen Schrift orientiert.
Man hat das Zitat aus dem Kontext gerissen. Ich habe in diesem Vortrag betont, dass man dem Problem der Homosexualität mit pastoraler Liebe begegnen muss. Doch das hat man nicht beachtet.
Weil man Bischöfe zu Fall bringen möchte, die an der Lehre der Kirche festhalten. Da ist man dem Bischof nicht wohlgesinnt.
Das sind Verschiedene.
So habe ich es erlebt, gerade vonseiten der Medien.
Man will den Bischof schlecht machen, den Dissens bewirtschaften, um den Anpassungsdruck zu erhöhen.
Es gibt eine Agenda, aber ich würde sie nicht religiös nennen. Es ist die Agenda des Mainstreams. Die Kirche soll dem Zeitgeist folgen.
Das ist keine Theorie, sondern meine Erfahrung. Die Kreise, die es betrifft, wissen genau, warum sie tun, was sie tun.
Ich glaube, das lassen wir lieber.
Ich wollte eine gute Priesterausbildung sicherstellen, damit junge, aufgestellte Menschen in den Pfarreien wirken. Dieses Ziel habe ich zu einem guten Teil erreicht. Die Zahl der geweihten Priester und der Priesteramtskandidaten ist beachtlich. Obwohl das Schlagwort Priestermangel die Runde macht, konnten wir unsere Pfarreien gut besetzen.
Die gesellschaftliche Entwicklung in den letzten 50 Jahren hat zu einer starken katholischen Selbstrelativierung geführt. Die Frage lautet: Geben wir den Glauben so weiter, wie wir ihn empfangen haben? Bei dieser Ausgangslage habe ich versucht dafür zu sorgen, dass der Glaube gefestigt wird, um den Menschen Orientierung zu geben.
Ja, unter einem integrierenden Bischof verstehen viele einfach eine Figur, die auf dem Zeitgeist surft und zulässt, was gerade mehrheitsfähig ist, sei es in Fragen der Abtreibung, der Sterbehilfe oder der Kommunion für geschiedene Wiederverheiratete.
Viele verstehen darunter genau das, ja.
Ich bin selber ein Kind dieser Zeit, habe an verschiedenen Orten, in Einsiedeln, Fribourg und Rom studiert. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen kann ich Benedikts Analyse nur unterschreiben. Er legt den Finger auf einen wunden Punkt.
Der moralische Relativismus ist schon älter, ja. Aber er kam erst ab 1968 richtig zum Durchbruch.
Die Bischofskonferenz hat klare Richtlinien erlassen. Sie hat die Problematik nicht unter den Teppich gewischt, sondern versucht, sich ihr zu stellen.
Das würde ich unterschreiben. Das Problem wird instrumentalisiert, um Stimmung gegen die Kirche zu machen. Ich habe aber ein gewisses Verständnis dafür, dass man bei der Kirche genauer hinschaut. Wir sind eine Religion, haben unseren Glauben und die Gebote, wir werden als moralische Instanz wahrgenommen. Umso schwerer wiegen solche Verfehlungen. Missbrauch darf in der Kirche eigentlich nicht vorkommen, doch auch bei uns arbeiten nur Menschen.
Er soll die Menschen, die im Bischof einen Garanten für Glaubenstreue sehen, nicht im Regen stehen lassen. Sie sollen den Weg der eigenen Glaubenstreue mit dem Schutz des neuen Oberhirten weiter beschreiten können.
Der Bischof muss Rom regelmässig berichten, wer aus seiner Sicht neuer Bischof werden könnte – nicht nur, wenn die Wahl unmittelbar bevorsteht. Ich habe mir natürlich überlegt, wer infrage kommen könnte.
Ich hüte mich, Namen zu nennen.
Ich habe keinen Einfluss auf den Entscheid. Der Nuntius in der Schweiz muss der Bischofskongregation in Rom Namen vorschlagen. Danach werden diese dem Papst unterbreitet, der die Wahl in eine gewisse Richtung lenken kann.
Nein.
Das Amt hat mir so viele schöne Momente geschenkt, dass ich keine Hitliste erstellen kann. Meinen letzten Höhepunkt habe ich am vorletzten Samstag in Schwyz erlebt, als ich vor gegen 1000 Gläubigen neun Priester weihen durfte.