Pflege
Verwaltungsrat der Spitex St.Gallen AG zieht Reissleine: Zusammenarbeit mit der Co-Leitung nach zwei Monaten schon wieder beendet

Die Spitex St.Gallen AG hat einen neuen Interims-Geschäftsführer: Er heisst Guy Lorétan von der Beratungsunternehmung Pro-Act, wie der Spitex-Verwaltungsrat am Mittwoch mitteilte. Die Rekrutierung des neuen Verwaltungsrats soll bereits im Herbst abgeschlossen sein.

Daniel Wirth
Drucken
Die Pflegenden der Spitex St.Gallen AG machten einen super Job, sagt Stadträtin und VR-Präsidentin ad interim, Sonja Lüthi.

Die Pflegenden der Spitex St.Gallen AG machten einen super Job, sagt Stadträtin und VR-Präsidentin ad interim, Sonja Lüthi.

Bild: Gaetan Bally/Keystone

Der Verwaltungsrat der Spitex St.Gallen AG hat sich nach vertieften Gesprächen mit der aktuellen Co-Geschäftsleitung sowie nach Anhörung verschiedener Personen aus der Unternehmung entschieden, die Zusammenarbeit mit der Co-Geschäftsleitung zu beenden. Dies heisst es in einem Communiqué vom Mittwoch. «Wir führten Gespräche mit den Mitgliedern der erweiterten Geschäftsleitung, mit Teamleitungen und mit dem Pflegepersonal», sagt Stadträtin Sonja Lüthi, Vorsteherin der Direktion Soziales und Sicherheit und interimistische Verwaltungsratspräsidentin der Spitex St.Gallen AG. «Und wir bekamen bei diesen Gesprächen ein stimmiges Bild.» Die Co-Geschäftsleitung bestand erst seit gut zwei Monaten, und zwar aus Anna Ravizza, Markus Maurer und Thomas Küng. Zuvor hatte im Mai Spitex-Geschäftsführer Alexander Ott noch in der Probezeit das Handtuch geworfen.

Ob Ravizza, Maurer und Küng auf Mandatsbasis weiterbeschäftigt werden, wird gemäss Sonja Lüthi gegenwärtig diskutiert. Die drei Personen seien aber nicht mehr Mitglied der Geschäftsleitung. Anna Ravizza war 2021 Mitglied im ersten Verwaltungsrat der Spitex St.Gallen AG und zwischenzeitlich als Delegierte des Aufsichtsgremiums auch operative Leiterin.

Unterschiedliche Einschätzungen

Nach zwei Monaten im Amt sei es dem Dreiergremium leider nicht gelungen, den Spitex-Betrieb zu stabilisieren. Was heisst das konkret? Sonja Lüthi sagt, es sei seit Mai zu rund einem halben Dutzend Kündigungen gekommen. Um die Belegschaft mit Blick auf die ohnehin schon angespannte Personalsituation nicht weiter zu verunsichern, habe sich der Verwaltungsrat zu dieser Massnahme gezwungen gesehen. Lüthi nennt die Trennung von der Co-Leitung einen «gravierenden Schritt».

Stadträtin Sonja Lüthi präsidiert den Verwaltungsrat der Spitex St.Gallen AG interimistisch.

Stadträtin Sonja Lüthi präsidiert den Verwaltungsrat der Spitex St.Gallen AG interimistisch.

Bild: Michel Canonica

Der Verwaltungsrat lege Wert auf die Feststellung, dass nicht fachliche Qualitäten der Leitung den Ausschlag für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegeben hätten, sondern unterschiedliche Einschätzungen über die Weiterführung des Betriebs. Der Verwaltungsrat dankt den scheidenden Geschäftsleitungsmitgliedern für ihre Arbeit und wünscht ihnen alles Gute. «Um Stabilität zu bekommen, braucht es ein Team, das am selben Strick in die gleiche Richtung zieht», sagt Sonja Lüthi.

Beratungsunternehmen springt ein

Der Verwaltungsrat sieht sich gemäss Lüthi in dieser Übergangsphase in der Pflicht, auf eine Beruhigung und Stabilisierung der Spitex St.Gallen hinzuwirken, damit sich die Spitex-Mitarbeitenden auf ihre Kernaufgabe – die Pflege und Betreuung der Klientinnen und Klienten – konzentrieren können. Die Versorgung der Patientinnen und Patienten in der Stadt sei sichergestellt, sagt Lüthi. Die Pflegenden machten einen sehr guten Job unter schwierigen Bedingungen. Bei Bedarf werde auch mit temporären Kräften gearbeitet. Lüthi sagt, im August hätten auch neue Pflegerinnen und Pfleger angestellt werden können. Etwa gleich viele, wie gegangen sind.

Guy Lorétan übernimmt bei der Spitex St.Gallen AG.

Guy Lorétan übernimmt bei der Spitex St.Gallen AG.

Bild: zvg

Übergangsweise und bis zur Bestellung der neuen Geschäftsführung übernimmt Guy Lorétan vom Beratungsunternehmen Pro-Act, spezialisiert auf Transformationsprozesse unter anderem im Gesundheitswesen, die Leitung der Spitex St.Gallen AG. Er wird in enger Abstimmung mit dem Verwaltungsrat den operativen Betrieb sicherstellen und gleichzeitig den Übergang in eine neue, nachhaltige Führungskonstellation unterstützen. Lorétan war am Mittwoch für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Gemäss Sonja Lüthi war er am Mittwoch bereits unterwegs, um mit den Teamleitungen Gespräche zu führen.

Die Rekrutierung des neuen Verwaltungsrats läuft gemäss Sonja Lüthi parallel dazu weiter und soll noch vor den Herbstferien abgeschlossen werden. Der amtierende Verwaltungsrat unter der Leitung von Stadträtin Sonja Lüthi, der nach der Demission des bisherigen Verwaltungsrats eingesprungen war, wird somit wie vorgesehen noch im laufenden Jahr wieder zurücktreten können. «Wir arbeiten mit Hochdruck», sagt Lüthi.

Der Verwaltungsrat setzt sich gegenwärtig zusammen aus Stadträtin Sonja Lüthi im Präsidium und den Mitgliedern Barbara Frei, Andreas Nagel, Andreas Vögeli und Thomas Keel. Der ursprüngliche Verwaltungsrat, bestehend aus Präsident Daniel Mächler, Anna Ravizza, Dominik Chiavi, Matthias Frei und Claudia Gonzalez trat Ende Mai zurück, nachdem der politische und öffentliche Druck auf sie zu gross geworden war. Cécile Schefer hatte bereits im März demissioniert. Sonja Lüthi sagt, wichtig sei, dass der neue Verwaltungsrat einen starken Bezug zur Stadt St.Gallen habe.

Ständig in Turbulenzen

Die Spitex St.Gallen AG gibt es seit Anfang 2021. Die Gesellschaft entstand aus dem Zusammenschluss von vier Spitex-Vereinen der Stadt. Schon vor dem Zusammenschluss und unmittelbar danach kündigten Pflegerinnen und Pfleger dutzendweise. Auch der erste Geschäftsführer ging nach wenigen Monaten.

Das Geschäftsjahr 2021 endete mit einem 1,7-Millionen-Franken-Defizit. Auf Antrag des Stadtrats stimmte das St.Galler Stadtparlament einer 3-Millionen-Finanzspritze für die angeschlagene Spitex zu. Es kam zu einer zweiten, nicht mehr ganz so heftigen Kündigungswelle. Im Mai dieses Jahres wurde bekannt, dass die Spitex St.Gallen AG Leistungen mit der Krankenkasse Helsana nicht korrekt abgerechnet hatte. Die Krankenversicherung stellte Rückforderungen.

Die Spitex St.Gallen AG ist seit ihrer Betriebsaufnahme vor gut zweieinhalb Jahren ständig in Turbulenzen. Im Mai dieses Jahrs kam es zum grossen Knall mit dem Rücktritt des Verwaltungsrats.