Die Solothurner SP-Nationalrätin Bea Heim über die Parlamentsarbeit im Zeichen der Mitte-Rechts-Mehrheit.
Welches Ungleichgewicht in der Berichterstattung der Medien: Die meisten Buchstaben und die meiste Sendezeit galten den Eskapaden eines Walliser CVP-Nationalrates, der als Stalker von der Polizei mitten in der Nacht aus dem Thuja-Haag seiner Ex-Geliebten geholt werden musste. Grundsätzlich sind aussereheliche Affären auch bei Politikern Privatsache. Politisch brisant wird es bei Volksvertretern, die ein streng konservatives, um nicht zu sagen, reaktionäres Familien- und Gesellschaftsmodell propagieren. Doppelmoralige Heuchelei empört zu Recht.
Das ist die eine Seite. Anderseits wollte die Mehrheit beider Räte nichts wissen von einer konsequenteren Verfolgung von Steuerbetrügern – genauso wenig wie der Bundesrat, der in dieser Sache einen Rückzieher machte. Ihr Hauptargument: Schweizerinnen und Schweizer seien grundsätzlich ehrlich, der Staat müsse hier nicht genauer hinsehen oder kontrollieren. Dabei gehen Schätzungen von jährlich Dutzenden von Millionen aus, die dem Staat von Reichen und Superreichen vorenthalten werden. In der gleichen Session entschied der Ständerat, IV-Rentner strenger zu überwachen. Er stellt dabei Sozialleistungsbeziehende und insbesondere Menschen mit IV unter Generalverdacht, indem er privaten Versicherungsdetektiven Überwachungsmittel in die Hand gibt, die sonst nur den Strafverfolgungsbehörden und dem Nachrichtendienst zur Verfügung stehen. Neben Bild- und Tonaufnahmen sollen GPS-Peilsender verwendet werden. Ja sogar Drohnen könnten zum Einsatz kommen, warnte der Bundesrat. Im Klartext: Wer staatliche Versicherungsleistungen bezieht, soll wie Kriminelle und Terrorverdächtige überwacht werden können. Dabei liegt der Missbrauch, er ist natürlich zu bekämpfen, gerade mal bei 2 Prozent. Wo bleibt die Verhältnismässigkeit? Der Nationalrat muss hier korrigierend eingreifen und diesen rechtsstaatlich problematischen, menschenunfreundlichen Fehltritt korrigieren.
Apropos Menschenfreundlichkeit: Die Mehrheit des Nationalrates wollte jene 442 Millionen Franken, die wegen der abgelehnten Altersreform 2020 «freigeworden» sind, weiterhin der AHV zur Verfügung stellen. Der Ständerat versenkte diese Idee. Jetzt fliesst das Geld statt in sichere Renten in den Schuldenabbau. Dabei weist die Schweiz eine der weltweit tiefsten Schuldenquoten auf. Ausserdem sind diese Schulden für den Bund im Umfeld der Negativzinsen extrem günstig zu finanzieren – zum Teil ist mit Schulden sogar Geld zu verdienen. Angesichts des heutigen technologischen Umbruchs wäre es wichtig, in die Zukunft und damit in die Sicherheit der Beschäftigung im Land zu investieren. Jetzt primär auf Schuldenabbau zu setzen, hat wenig mit gutem Haushalten zu tun, aber viel mit Ideologie und Spekulation von Bestverdienenden auf Steuersenkungen.
Apropos Ideologie: Allein in den letzten 10 Jahren summierten sich die Rechnungsüberschüsse beim Bund auf rund 25 Milliarden Franken. Dennoch werden bei jedem Budget, z.B. bei Bildung und Forschung, dem einzigen Rohstoff der Schweiz, weniger als nötig investiert. Dabei zeigt die zweite Hochrechnung für das laufende Jahr, dass der Bund 2017 erneut einen strukturellen Überschuss von 1,5 Milliarden Franken erzielen wird. Auch das hat weniger mit gutem Haushalten zu tun als mit der rechten Ideologie, nach welcher der Sozialstaat ausgehungert werden soll. Wenn bloss für Armee und Landwirtschaft noch genug Geld vorhanden ist. Oder für korruptionsanfällige Grossprojekte wie Olympische Spiele, für die man im Schnellzugstempo mal eben eine Milliarde Franken locker machen will.
Apropos Tempo: Bei anderen Anliegen, die nichts mit bürgerlichen Lieblingsthemen zu tun haben, kann es schon mal Jahre gehen, bis sich etwas bewegt. Trotz grosser Dringlichkeit. Aber manchmal wird das stete «Stüpfen» schliesslich doch noch von Erfolg gekrönt. In dieser Session war das beim Kinderschutz der Fall. Die Meldepflicht bei Verdacht auf Kindsmissbrauch wird auf alle Fachpersonen, die mit Kindern zu tun haben, ausgedehnt. Und sie wird ergänzt, angesichts der steigenden Zahl an Missbrauchsfällen, mit einem Melderecht für Ärztinnen, Psychologen und Anwältinnen. Dieser Erfolg geht auf einen Vorstoss der ehemaligen Waadtländer Nationalrätin Josiane Aubert (SP) zurück. Sie hat ihn bereits 2008 eingereicht. Noch im vergangenen Jahr wurde eine entsprechende Vorlage abgelehnt, weil SVP und FDP geschlossen dagegen stimmten. Jetzt haben sich einige FDP-Leute eines besseren besonnen.
Solche wenig spektakulären Erfolgserlebnisse gehören ebenso zum Parlamentsbetrieb wie ärgerliche Niederlagen. Was nicht dazugehören darf, sind private Eskapaden von Ratskollegen.