Unser Kolumnist Pedro Lenz schreibt diese Woche über den schleichenden Zerfall der Mundart – und warum nicht jeder Markt ein «Märit» ist.
«Auso los: morn arbeiten i bis am füfi, nächär warten i bim Bahnhof, dört wo immer, ungen ar Träppe!» Der Satz wurde in gewöhnlicher Umgangssprache in ein Handy gesprochen. Mein Reisebegleiter und ich hörten zwangsläufig mit.
Nachdem wir den Bus verlassen hatten, begann mein Reisebegleiter, ein sonst eher progressiver Typ, über den schleichenden Zerfall der Mundart zu schimpfen. In unserer Umgangssprache gehe man doch nicht «arbeiten», da gehe man «go schaffe»! Ausserdem heisse es immer noch «Stäge» und nicht «Träppe»! Die Treppe sei ausschliesslich im Hochdeutschen zu verwenden.
Überhaupt falle ihm auf, wie junge Deutschschweizer den «Märit» oder «Märet» in mundartlicher Umgangssprache immer öfter als «Markt» bezeichneten oder den «Hoger» einen «Hügu», was vom hochdeutschen «Hügel» abgeleitet und in unserer Mundart völlig fehl am Platz sei. Es gehe nicht an, dass man hochdeutsche Begriffe einschweizere, solange die Mundart eigene, echtere Begriffe anbiete.
Mir selbst sind Mischungen und Verschmelzungen in kulturellen Zusammenhängen nicht unsympathisch. Deswegen habe ich auch nicht die Tendenz, sofort emotional auf Hochtouren zu laufen, wenn jemand einen hochdeutschen Begriff in die Mundart einschmuggelt. Das war vermutlich der Grund dafür, dass ich meinem Reisebegleiter meine bedingungslose Zustimmung in dieser Frage verweigerte.
Aber ich würde doch auf Mundart dem «Märit» nie «Markt» sagen, behauptete er. Das stimme nur bedingt, antwortete ich. Bestimmt sei etwa ein «Wochenmarkt» oder ein «Gemüsemarkt» auch für mich einfach der «Wuchemärit» oder der «Gmüesmärit». Doch sobald der Markt in einem technischeren Zusammenhang aufscheine, verzichtete ich auch beim Mundartreden auf den Märit, erklärte ich.
Als Beispiele nannte ich Wörter wie «Finanzmarktaufsicht» oder «Marktwirtschaftsanalyse». Bei derartigen Begriffen falle es mir auch auf Mundart nicht ein, «Finanzmäritufsicht» oder «Märitwirtschaftsanalyse» zu sagen, «Finanzmarktufsicht» sei mir Schweizerdeutsch genug.
Ähnlich verhalte es sich mit der «Treppe». Solange eine Treppe aus Stein, Metall oder Holz gefertigt und nicht motorisiert sei, komme es mir nie in den Sinn, auf Mundart ein anderes Wort als «Stäge» dafür zu gebrauchen. «Die Rolltreppe» dagegen, die bezeichnete ich auch im Dialekt als «Routräppe», aus dem einfachen Grund, dass mir die Wortschöpfung «Roustäge» nicht natürlich im Ohr liege.
Ob es eine Regel gäbe, wann die Mundart nach einem eigenen und wann sie nach einem hochdeutschen Wort verlange, fragte mein Reisebegleiter. Mit fixen Regeln kenne ich mich nicht so gut aus, gab ich zu. Immerhin sei ich aber Experte für selbstgemachte Faustregeln. Meine Faustregel in diesem Zusammenhang laute: «Wurde die Sache, die es zu benennen gilt, erst nach dem Sonderbundskrieg erfunden, tendiere ich zur Integration des modernen Begriffs, selbst wenn er fremder Herkunft ist. Also auch im Dialekt lieber «es Snowboard a de Füess» als «es Schneebrätt im Rügge».