Mit dem Bildkalenderband «365 Tage Basel» stösst man auf überraschende Schauplätze aus tausend Jahren.
Wissen Sie noch, wie Ihr Interesse für Geschichte geweckt wurde? Klar, dazu gibt es 1001 verschiedene Möglichkeiten. Aber ebenso gewiss führt ein Königsweg über das Betrachten von Bildern aus entschwundenen Zeiten. Als Primarschüler sass ich stundenlang über Bildbänden eines alten Basel, wie ich es nicht kannte. Unglaublich: So soll das hier mal ausgesehen haben? Ein Staunen und Grübeln und Rätseln. Warum verändert sich das alles? Was wird wie lange Bestand haben? Und wie wird es wohl in fünfzig, in hundert Jahren aussehen?
Jetzt legen Carlo Clivio und Tilo Richter im Christoph Merian Verlag einen so handlichen wie prall gefüllten Bildband vor, in dem man 365 Mal staunen, rätseln, grübeln kann. Alles hat mit Basel und seiner Geschichte zu tun, und zwar in einer Gesamtspanne von fast tausend Jahren. Das Schwergewicht aber liegt in der jüngeren Vergangenheit der letzten 150 Jahre. In der Form eines Jahreskalenders steht da Epochemachendes neben Anekdotischem, Heiteres neben Schmerz- und Schampunkten. Für jeden Tag ein sprechendes Bild samt kurzem Erläuterungstext. Eine animierende, kluge, bestechende Mischung.
Machen wir die Probe aufs Exempel. Erkennen Sie die nebenstehende Kreuzung? Und haben Sie eine Ahnung, was jetzt an dieser Strasseneinmündung steht? Richtig: Spiegelgasse / Blumenrain, heute der Hauptsitz der Basler Kantonalbank, links anschliessend der Spiegelhof der Polizei. Oder anders: Wären Sie hingegangen, als Radio Basilisk am 1. April 1984 ein Skirennen am Spalenberg mit Bernhard Russi ankündigte? Das Charmante dabei: Für einmal wurden die Leichtgläubigen belohnt. Per Lastwagen war erstklassiger Langenbrucker Schnee herangekarrt worden – und Russi wedelte tatsächlich, wie Figura beweist, um die Slalomstangen.
Oder mögen Sie’s etwas komplexer? Zu seinem 100. Jahrestag beauftragte der Chemiekonzern Sandoz die Bildhauerin Bettina Eichin mit der Schaffung eines Brunnentrogs für den Basler Marktplatz samt zwei Tisch-Skulpturen. Nach der Brandkatastrophe von 1986 in Schweizerhalle änderte Eichin ihr Konzept und gestaltete eine der Tisch-Skulpturen mit dem Unglücksdatum drauf und dem Hebel-Gedicht «Die Vergänglichkeit». Daraufhin widerrief Sandoz die Schenkung. Es folgten Rechtsstreitigkeiten und private Geldsammelaktionen und schliesslich die Überführung des Kunstwerks in den Kreuzgang des Münsters. Wann kommt dieses Mahnmal zurück an den Ort, für den es gedacht war?
Für den 29. Mai hält der Band ein seltsames Ereignis fest, dessen Tragweite, wie die Autoren schreiben, sich erst Jahrzehnte später erschloss. Von 1879 bis 1935 war es nämlich üblich, im Basler Zolli sogenannte Völkerschauen durchzuführen. Als Attraktion wurden in den Gehegen reale Menschen aus Afrika, Asien oder der Südsee zur Schau gestellt. Ein unwürdiges Spektakel. Und ein beklemmendes Schlaglicht auf unsere Mentalitätsgeschichte – es ist noch keine 90 Jahre her.
«365 Tage Basel» schöpft aus 3450 Artikeln des Basler Stadtbuches und rund 37'000 Chronikmeldungen. Ein wesentlicher Clou des Buches besteht darin, dass man auf jeder Seite mit dem Smartphone auf einen QR-Code fokussieren kann, über den man zu vertiefenden Artikeln zur jeweiligen Thematik gelangt. So verbindet sich mit einem Klick die traditionelle Buchwelt mit den schier unerschöpflichen Quellen im digitalen Kosmos. Ein neugierweckendes Entdeckertool für Jung und Alt, für Ureinwohner und Zugezogene.
Carlo Clivio, Tilo Richter: «365 Tage Basel», 384 Seiten mit 365 Abbildungen, Christoph Merian Verlag, Basel 2021. www.baslerstadtbuch.ch