Porträt-Serie zur Auswahl 20 im Aargauer Kunsthaus. Heute die Neu-Aargauerin Viviana González Méndez, die spaziert, häkelt und forscht.
Eigenwillig ist nur ein schwacher Begriff für diese Arbeit. Was irritiert und fasziniert die Betrachterin mehr? Ist der Mix aus Steinen und gehäkeltem Garn oder die Tatsache, dass ein Motörli fortwährend am Gespinst zieht, den Faden aufrollt und die Arbeit so laufend zerstört. Begleitet vom lauten Plumpsen der Steine auf die Metallplatte am Boden, das ein Lautsprecher bedrohlich im Raum verstärkt?
«La caida» (der Fall) heisst die Installation von Viviana González Méndez, 38. Von ihr hat die Schreibende nie zuvor gehört, nie etwas von ihr gesehen. «Es ist meine erste Teilnahme an der Jahresausstellung», bestätigt González bei unserem Video-Telefonat. Sie lebt erst seit dreieinhalb Jahren in der Schweiz, in Baden mit ihrem Mann. Wegen ihm, ist sie aus Kolumbien weggezogen.
Das Erkunden ihrer neuen Umgebung, Vergleiche mit Erfahrungen in ihrer Heimatstadt Bogotà und die Abstützung in der Wissenschaft beschäftigen sie seither. An der Zürcher Hochschule der Künste forscht sie für ihre Doktorarbeit über Landschaft und Nomadentum.
Faszinierend sei, wie unterschiedlich Landschaft und Raum dargestellt werden. «In der westlichen Tradition arbeitet man mit Ansichten, sei es in der Malerei oder in Form von gezeichneten Karten.» In anderen Kulturen benutze man Lieder, Texte oder Teppiche, um solche Informationen weiterzugeben und aufzubewahren. Und was haben die Nomaden damit zu tun? «Sie nehmen die Landschaft reisend wahr – und umgekehrt verändern sie durch ihr Leben auch die Landschaft.»
Daneben möchte sie auch in der hiesigen Kunstszene Fuss fassen. Neben der Auswahl ist sie auch an der regionalen Auswahl im Kunstraum Baden dabei – und glücklich darüber. Sie sei viel unterwegs, um aus der Umgebung Ideen für ihre Kunst zu generieren, sagt Viviana González. «Beim Spazieren auf der Lägern habe ich beobachtet, wie immer wieder Steine herunterfallen, und dass auch ich abstürzen könnte.» Im Unterengadin, in Nairs («ein Atelierstipendium dort war mein erster Aufenthalt in der Schweiz») habe sie gesehen, wie man versucht, die Gefahr von Steinschlag oder Lawinen mit Technik zu bannen. Dort hat sie auch ein erstes Paket Steine gesammelt.
«Das Fallen der Steine, die Bewegung von oben nach unten, erscheinen mir typisch für die Raumerfahrung und das Landschaftserlebnis in der Schweiz», resümiert sie. So sei «La caida» entstanden.
Verhäkelt habe sie die Steine aus familiärer Tradition. «Garn war bei uns zuhause immer präsent und auch ich häkle gerne.» Wenn sie nun ihre Arbeit dauernd einem Zerstörungsprozess aussetzt, sie im Kunsthaus auch immer wieder ergänzen muss, kommt sie sich nicht vor wie Sisyphus? Viviana González lacht: «Nein, denn es ist kein Akt von Verzweiflung, sondern eine kontemplative Beschäftigung.» Und ja, sie verstehe «la caida» auch als Sinnbild des ewigen Werdens und Vergehens.
Was aber wird aus ihr selber, wenn ihre Doktorarbeit abgeschlossen ist? Die Zukunft zu planen, entspreche dem südamerikanischen Naturell weniger als dem schweizerischen, meint sie. «Kunst machen gehört bei mir sicher dazu. Und ich würde gerne unterrichten.»
Videoarbeiten und - projektionen, aber auch Installationen im Raum und bildhauerische Arbeiten gehören zum Repertoire der aktuellen Kunst - und also auch der Auswahl 20. Hier einen Auswahl.
Auswahl 20. Aargauer Kunsthaus ist bis zum 22. Januar geschlossen, die Ausstellung deshalb bis 14. Februar verlängert.
Truffes & Trouvailles, Kunstraum Baden, bis 31. Januar.
Beachten Sie die besonderen Öffnungszeiten.