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Der Basler Schriftsteller Martin R. Dean spricht im Interview über die verpassten Chancen der Kulturpolitik und die neue Ansätze bei der Förderung.
Martin R. Dean: Ich wünsche mir mehr Initiative, einen frischen Wind und – auch wenn man das Wort vielleicht nicht so gerne hört – mehr Visionen dazu, was Kultur bedeutet und was sie uns allen bringen kann. Kurz gesagt: weniger Verwaltung, mehr Gestaltung.
Nein. Vom Vorsteher eines Kulturdepartements dürfen wir erwarten, dass ihm bewusst ist, was Kultur bedeuten könnte, gerade in Basel, einer Stadt, die ja kein unbeschriebenes Blatt in Sachen Kultur ist. Wir waren von den Achtzigern bis in die Nullerjahre kulturell an der Spitze des Landes.
Wir sind eingeschlafen. Vieles passiert auf hohem Niveau, aber es fehlt an neuen Impulsen. Wir sind gesellschaftlich an einem Punkt, wo es eine neue Auslegeordnung für die Kulturpolitik und das Kulturverständnis braucht. Die Wahlen in den USA haben viel über das Gefüge von Gesellschaften aufgezeigt – vor allem eine extreme Polarisierung. Wir sollten diese Verwerfungen nicht bloss politisch, sondern auch kulturell betrachten. Es stellt sich die Frage, wie wir die fortschreitende Polarisierung eindämmen können. Es braucht neue Gesprächs- und Reflexionsmöglichkeiten. Ich vermisse in Basel Orte, wo Debatten geführt werden.
Das erinnert mich an den Fotografen, der sagt, seine Bilder seien ganz objektiv. Es geht doch darum, Perspektiven zu entwickeln, Tendenzen zu gewichten. Ich wünsche mir ja nicht, dass Herr Jans anfängt, Romane zu schreiben. Aber er muss die Strukturen so legen, dass sich Dinge entwickeln können.
Martin R. Dean wurde 1955 in Menziken, Kanton Aargau, als Sohn eines Mannes aus Trinidad und einer Schweizerin geboren. Er studierte Germanistik, Philosophie und Ethnologie in Basel. Dean lebte längere Zeit in Portugal, Frankreich und Italien. Seit 1995 ist er mit der Kulturwissenschafterin Silvia Henke verheiratet, mit der er eine Tochter hat. Von 1990 bis 1998 lehrte er an der Schule für Gestaltung in Basel, 1992/93 war er Stadtbeobachter der Stadt Zug. Von 1999 bis 2020 unterrichtete er Deutsch am Gymnasium in Muttenz. Für seine Romane und Essays wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. 2019 erschien sein bisher letzter Roman «Warum wir zusammen sind». (bz)
Von der Ära Morin ist mir wenig in Erinnerung geblieben, aber vielleicht liegt das an meinem Gedächtnis. Zu Beginn der Ära Ackermann leitete Philippe Bischof das Amt. Ihn fand ich sehr inspirierend. Nur ein Beispiel: Er brachte Kulturschaffende aus den verschiedensten Sparten bei Apéros zusammen und förderte dadurch aktiv eine gute Vernetzung. Genau dies wäre zum jetzigen Zeitpunkt wichtig. Die Kulturszene muss über die Sparten hinweg agieren. Auch sah er Handlungsbedarf beim Thema Inklusion. Es nützt uns nichts, wenn die Kultur Minderheiten fördert, und diese nicht den Dialog mit der Mehrheit suchen. So bleibt es bei der Identitätspolitik einzelner Gruppen. Aber wir können das nicht erzwingen. Eine gute Voraussetzung wäre ein Kulturunterricht an den Schulen, der über das Spielen einer Querflöte hinausgeht.
Ein gutes Beispiel ist für mich die laufende Rembrandt-Ausstellung im Kunstmuseum. Ein 19-jähriger Schüler mit Migrationshintergrund getraut sich da nicht hin. Nun macht das Museum aber das Angebot, darüber nachzudenken, wie wir den Orient sehen, inklusive Podcast. Die Ausstellung ist so konzipiert, dass sie auch eine Schulklasse interessiert. Das geht für mich in die richtige Richtung. In dieselbe Richtung gingen Projekte an der Schnittstelle von Kunst und Ökologie.
Diese kann man auch nicht einfach auf den Tisch legen. Das war ein Beispiel für ein zwar kleinmaschiges, aber wichtiges Vorgehen. Eine Kulturpolitik nach meinem Wunsch müsste für eine Mehrheit der Bevölkerung die Bedeutung der Kultur hervorheben und repräsentieren. Sie sollte realisieren, dass sie eine konkrete, handfeste Aufgabe in dieser Stadt hat. Kulturpolitiker müssen solche Signale nach aussen tragen. Das hat mir in letzter Zeit gefehlt.
Da bin ich ehrlich gesagt überfragt. Ich habe mich mit diesen Verwaltungsabläufen nicht intensiv befasst.
Was Sie sagen, spiegelt den Zustand in Basel. Die grossen Institutionen funktionieren alle auf hohem Niveau. Diesen Zustand versuchen wir zu verwalten. Gleichzeitig bahnen sich in der Zukunft auch bei uns tiefe Gräben in der Gesellschaft an. Wenn wir dagegen etwas tun wollen, dann müssen wir es jetzt aufgleisen. Kultur hat da eine sehr wichtige Funktion. Wir müssen dafür sorgen, dass die Minderheiten nicht unter sich bleiben, sondern dass sie sich auch mit gesellschaftlichen und kulturellen Fragen auseinandersetzen.
Das würde ich gut finden. Auch ich erschrecke manchmal über die Preise, und es ist klar, dass Jugendliche oder Menschen mit wenig Einkommen diese Preise nicht bezahlen können.
Ich glaube, diese Frage müsste man von der jeweiligen Sparte aus beantworten. Ich war acht Jahre in die Literaturförderung des Kantons Zürich involviert. In dieser Zeit wurde beispielsweise Graphic Novel in die Förderung aufgenommen. Das kam zum richtigen Zeitpunkt. Fördergremien müssen flexibel genug sein, um neuere Tendenzen zu erkennen und diese zu integrieren. Ich finde es auch wichtig, dass alles, was sich zwischen festgelegten Sparten bewegt, wahrgenommen wird. Zum Beispiel eine Zusammenarbeit von Literat, Musiker und Schauspieler. In welches Fördergefäss passt so etwas? Da braucht es mehr Flexibilität. Ich bin sogar der Überzeugung, dass wir in Zukunft von monothematischen Kulturinstituten wegkommen und gemischte Institutionen haben werden mit einem ebenso gemischten Publikum.
Das ist schwierig zu beantworten. Unsere Gesellschaft ist eine Staffelung von Ungleichzeitigkeiten. Es leben viele hier, die noch gar nicht angekommen sind. Ich weiss das aus Erfahrung. Mein Vater hat als Einwanderer lange gebraucht, bis er Institutionen besucht hat. Wenn jemand hierher flüchtet, rennt er nicht gleich ins Sinfoniekonzert. Kommt hinzu, dass der Kultur bereich auch ein sehr breites Spektrum zwischen Avantgarde und Tradition abbildet. Die Durchmischung all dieser Bereiche ist ein Thema, das Fürsprecher braucht. Hier sollte die Kultur politik vorangehen. In diesem Sinn finde ich das Präsidialdepartement bis jetzt eine nicht genutzte Chance.
Basel hat genügend Geld. Aber wir könnten beispielsweise mehr für die Jugendkultur tun. Gerade in der Coronakrise wurde diese von der arrivierten Politik arg vernachlässigt. Ich finde das falsch. Den Jugendlichen geht es schlecht, bis hin zu Depressionen. Das Studium verbringen sie im Homeoffice, und abends können sie nirgends hin. Aber sie benötigen offene Räume wie z. B. das Humbug, offen für alle Aktivitäten. Ein fantasievolles Kulturdepartement könnte da mit wenig Mitteln Möglichkeiten schaffen.