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Im Würenlinger Dorfbach befindet sich noch immer eine von ursprünglich sieben ausgesetzten Wasserschildkröten. Das verstösst gegen die Tierschutzverordnung und hat Folgen für das Ökosystem.
Genüsslich reckt die Wasserschildkröte ihren ledrigen Hals in Höhe und geniesst den sonnigen Frühlingstag. Immer wieder sitzt das exotische Reptil auf demselben Baumstamm im Würenlinger Dorfbach, den ein Biber gefällt hat. Manchmal leistet ihr ein Frosch auf einem Stamm nebenan Gesellschaft.
Nur: Diese Schildkröte ist hier nicht heimisch und kann grosse Auswirkungen auf die Natur haben. Denn sie frisst Libellenlarven, Jungfische, Kaulquappen sowie Molch- und Salamanderlarven. Nicht selten sind die Tiere gefährdet, die in ihrem Bauch landen.
Der Bund verbot deshalb 2008 das Halten der besonders invasiven
Rotwangen-Schmuckschildkröte, die sich seit 2020 auch im Würenlinger Dorfbach tummelt. «Im vergangenen Jahr waren sie noch zu siebt», sagt Alois Bächli, Präsident des örtlichen Natur- und Vogelschutzvereins. Wie die Tiere dorthin gelangt waren, ist nicht bekannt. Er vermutet aber, dass sie jemand aussetzte. «Das ist gang und gäbe», sagt er. Bächli:
«An der Aare hat es zahlreiche Wasserschildkröten. Wenn man weiss wo, sieht man sie an sonnigen Tagen am Flussufer oder auf Baumstämmen, die im Fluss liegen, sitzen.»
Viele seien sich aber nicht bewusst, welche Konsequenzen die Tiere vor allem in kleinen Gewässern für die Natur haben.
Mitglieder des Vereins konnten im vergangenen Jahr bis auf eine alle Schildkröten im Bach einfangen. Ein Vorhaben, das gar nicht so einfach ist, wie Alois Bächli erklärt: «Mit einem Netz funktioniert das nicht. Die Schildkröte verschwindet im Wasser und taucht ab, bevor man überhaupt nah dran genug ist.»
Vereinsmitglied Markus Schneider stellte deshalb eine selbst gebaute Falle auf: ein viereckiger, schwimmender Drahtkorb, der mit Rohren ausgestattet ist:
Die Tiere sonnten sich auf diesen Rohren und eines nach dem anderen ging in die Falle. Die letzte noch verbliebene überwinterte in der Erde. «Wir werden die Falle bald wieder aufstellen.»
Die eingefangenen Tiere bringen die Vereinsmitglieder jeweils nach Hallwil in die Auffangstation für Schildkröten. Diese führt Ruth Huber, Präsidentin der Aargauer Sektion der IG Schildkrötenfreunde. Sie blickt auf eine turbulente Woche zurück: In weniger als sieben Tagen hat sie 38 Schildkröten aufgenommen. «Es kann gut sein, dass ich wieder ein Jahr wie 2019 erlebe.»
Damals nahm Huber 344 Schildkröten notfallmässig auf. Darunter sind jeweils alle möglichen Arten, von griechischen oder maurischen Landschildkröten über junge Riesenschildkröten bis zu Wasserschildkröten wie den Gelb- und Rotwangen-Schmuckschildkröten.
Bei Letzterer habe sie vor zwei Jahren eine Zunahme erlebt, als ein parlamentarischer Vorstoss das 2008 erlassene schweizweite Haltungsverbot nochmals ins Bewusstsein rückte.
Zwar würde auch die einheimische Europäische Sumpfschildkröte kleine Fische oder Kaulquappen fressen. «Diese sind aber nicht so stark verbreitet, sind hier heimisch und haben deshalb ihre Berechtigung.» Die exotischen Exemplare hingegen bedrohen die Ökosysteme der Gewässer.
Laut Schildkröten-Interessengemeinschaft Schweiz (SIGS) werden jährlich über 100'000 Rotwangen-Schmuckschildkröten aus Nordamerika in Europa importiert. Frisch geschlüpft sind die Tiere nur zwei Zentimeter gross und im Ausland für wenig Geld zu kaufen. «Die herzigen Winzlinge werden dann meist als Feriensouvenirs gekauft und gelangen so illegal in die Schweiz.» Doch dann wachsen sie auf Tellergrösse an und leben bis zu 85 Jahre.
Dass der Würenlinger Natur- und Vogelschutzverein die Schildkröten aus dem Bach fischt, lobt Ruth Huber: «Ich finde es grossartig, dass sich ein Verein dieser Sache annimmt und sich mit so viel Elan einsetzt. Die Würenlinger haben damit eine Vorbildfunktion.»
Wird auch noch die letzte Schildkröte im Dorfbach gefangen, bleibt sie wie die anderen nicht in Hallwil: Sie kommen in die Auffangstation in Chavornay. Der Dachverband SIGS, die Auffangstationen, der Kanton und einige Tierheime arbeiten dafür zusammen und bringen die aufgegriffenen Wasserschildkröten in den Kanton Waadt, wo sie in der schweizweit grössten Auffangstation alt werden dürfen.